Wertvolles Dokument der Zeitgeschichte

Große Resonanz für Berthold Dückers Lesung am 20. Oktober 2023

Bericht von Jürgen Körber

„Von Diktatur zu Diktatur“, so lautete der Titel der Lesung des in Geismar geborenen und dort aufgewachsenen langjährigen Chefredakteurs der Südthüringer Zeitung, Berthold Dücker, und sie traf auf große Resonanz. So freute sich Doris Heim, Vorsitzende des Fördervereins Kunst Kultur und Wissenschaft Geisa e. V., zahlreiche Besucher, darunter den Landrat des Wartburgkreises, Reinhard Krebs (CDU), und die Bürgermeisterin der Stadt Geisa, Manuela Henkel (CDU), sowie die Leiterin des Johann-Gottfried-Seume-Gymnasiums Vacha, Beate Dittmar, begrüßen zu können. Sie war sogar zusammen mit interessierten Schülern zur Lesung erschienen.

In ihrer kurzen Eröffnungsansprache verwies Doris Heim darauf, dass der Förderverein mit der Einladung von Berthold Dücker zur Lesung die Vielfalt seines Veranstaltungsangebotes erweitern wolle. Christoph Witzel, Leitender Redakteur der Südthüringer Zeitung, begleitete und moderierte die Lesung und die sich anschließende rege Diskussion. Denn: Mit großer Aufmerksamkeit folgten die geschichtsinteressierten Besucher den Ausführungen des Autors, der sein gut 35-seitiges Manuskript vorstellte – in dem er ein eindrucksvolles Bild der zwei schier nahtlos aufeinanderfolgenden deutschen Diktaturen zeichnete.

Dückers Text ist bereits jetzt und in dieser Form ein bewegendes und zum Nachdenken anregendes Dokument der Zeitgeschichte mit familiärem und regionalem Bezug. Er zitiert unter anderem seinen Vater, beschreibt die Hitlerdiktatur und ihr Ende, die verheerenden Folgen des Zweiten Weltkrieges und kennzeichnet das, was danach kam, treffend mit den Worten: „Die rote Diktatur hatte die braune abgelöst“. Dücker machte deutlich, dass er die Hitlerdiktatur nicht mit der SED-Diktatur gleichsetzen wolle, verwies jedoch nachvollziehbar und historisch belegt auf Vergleichbares, ungezählte Ähnlichkeiten und durchaus appellierend und mahnend auf Parallelen zum Hier und Heute. Mit den Worten „Nazideutschland lag in Schutt und Asche. Der Traum vom tausendjährigen Reich war geplatzt“ verwies er auf das Ende der braunen Diktatur. Er erinnerte unter anderem an die Judenverfolgung und die Reichskristallnacht, an die über 60 Millionen Toten und die vielen Kriegsversehrten, die Trümmerfrauen, eine ganze Generation traumatisierter Kriegskinder und – mit Bezug auf die aktuelle Flüchtlingsproblematik – auf die Millionen deutscher Kriegsflüchtlinge nach Kriegsende.

Mit den Worten „Kriege sind das Schlimmste, das sich Menschen antun können“, traf er den Nerv der Zeit und auf ungeteilte Zustimmung seines Publikums. Berthold Dücker versäumt es in seinen bemerkenswerten Aufzeichnungen nicht, zu erwähnen, was die Nazipropaganda in den Köpfen der Menschen angerichtet habe – und dass später viele nicht gewusst haben wollten, was während der Nazidiktatur geschehen war, während einige dem untergegangenen Nazireich noch lange nachgetrauert hätten.

Die Verklärung von Geschichte und geschichtspolitische Unwissenheit die beiden Diktaturen betreffend sei allgegenwärtig, und deshalb sei es besonders wichtig, vor allem jungen Menschen die jüngere Geschichte Deutschlands – vor allem auch die Geschichte der untergegangenen DDR-Diktatur und das, was sie wesentlich kennzeichnete – nahezubringen, so Dücker.

Akribisch recherchiert, authentisch und mit konkreten Beispielen und Schicksalen aus der Region belegt, beschreibt der Autor in der Folge den „Übergang von der braunen zur roten Diktatur“ und das, was die „Diktatur des Proletariats“ genannte Diktatur des DDR-Regimes in Wirklichkeit ausmachte. Eine gleichermaßen erschreckende wie wahre Erkenntnis stellte Dücker an den Anfang seiner Beschreibung von dem, was der Hitlerdiktatur folgte, indem er seinen Vater sinngemäß mit den Worten: „Eigentlich ging es so weiter, wie es vorher war, nur die Fahnen hatten andere Farben“, zitierte.

„Die Nachkriegszeit war eine Notsituation, Mangelversorgung war allgegenwärtig“ beschreibt der Autor die Lage. Ängste, aber auch Hoffnungen, die sich im Gebiet der sogenannten sowjetischen Besatzungszone (SBZ) schnell zerschlugen, prägten die Gedanken der Menschen. Dass nach Kriegsende das Konzentrationslager Buchenwald durch Russen und Kommunisten weiter betrieben und politisch Missliebige dort inhaftiert wurden, wissen bis heute wenige Menschen.

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Gründung der DDR war die Spaltung Deutschlands besiegelt, mit dem Mauerbau und der Grenzschließung, die in ganz Deutschland, und damit auch in der Region um Geisa, tiefe Wunden bei den betroffenen Menschen hinterließen, scheinbar unabänderliche Tatsachen geschaffen. „Die Menschen wurden eingesperrt, Traditionen, Familien und Freundschaften zerrissen, elementarste Rechte und Freiheiten eingeschränkt; die Grenze teilte nicht nur Deutschland, Europa und die Welt – die Grenze teilte in Freiheit und Unfreiheit“, so Berthold Dücker. Seine Ausführungen zu Zwangsaussiedlungen, Enteignungen, der Verstaatlichung von Betrieben und zur Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft führten bei den Zuhörern sichtlich zu emotionaler Betroffenheit – ebenso wie die Erzählungen zur Verfolgung politisch Andersdenkender, die namentliche Benennung geschleifter Höfe und betroffener Familien und Schilderungen des Grenzsystems mit Minenfeldern und Selbstschussanlagen. In der anschließenden regen Diskussion wurde all das deutlich wieder aufgegriffen.

Auf die Gefahren geschichtspolitischer Unwissenheit hinweisend, waren sich Berthold Dücker und seine Zuhörer einig: Es sei notwendig, der jüngeren deutschen Geschichte mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die politische Bildung stärker in den Fokus zu rücken.

Das Wesen von Diktaturen auf beeindruckende Weise kennzeichnend und auf den unschätzbaren Wert von Freiheit und Demokratie verweisend, hat Berthold Dücker ein wertvolles Dokument der Zeitgeschichte geschaffen. Das, wie es im Publikum resümierend und übereinstimmend hieß, wert sei, in gedruckter Form der Öffentlichkeit vorgestellt und in Schulen in den Unterricht aufgenommen zu werden. Der Applaus für die Ausführungen unterstrich das nur mehr.